Neunter Werkstattbericht, 12.Mai 2013
Sagt mal, ist das Wetter bei euch auch so furchtbar? Bei uns wird es nicht einmal richtig hell und soeben hat es heftig gehagelt – an einen solchen Muttertag kann ich mich überhaupt nicht erinnern. Normalerweise verbringt man den Tag draußen, genießt die Sonne und den zarten Blütenduft der Obstbäume und Ziersträucher. Stattdessen hat mein Mann vorhin den Kachelofen angeschürt.
Ich habe mir gedacht, dass ich euch heute mit einer klitzekleinen Leseprobe aus meinem Manuskript zu „Im Abgrund der Ewigkeit“ überrasche.
Ich rede jetzt auch nicht viel drum herum, sondern wünsche den Müttern unter euch – aber auch allen anderen – einfach einen schönen Ausklang des Wochenendes!
Viele liebe Grüße
Roxann
Textschnipsel
Ich schlüpfte in den Poncho, schlang mir meinen Schal locker über das Haar und stülpte einen Hut darauf. Bis zur Veranda waren es lediglich ein paar Schritte. Dort verharrte ich und blickte die Straße hinunter, hinaus in die Dunkelheit. Der dauernde Schneefall hatte nachgelassen, nur ein paar verlorene weiße Flocken segelten durch das Schwarz der Nacht – einsam, als hätten sie sich verirrt. Holz quietschte leise, Johannes bewegte sich wie immer fast geräuschlos. Er stellte sich neben mich und richtete seine Augen ebenfalls hinaus ins Nichts.
Ich vergaß alles um mich herum und wandte mich ihm zu. Johannes war groß, stark und das blauschwarze Haar, das unter seinem Hut hervorquoll, umrahmte ein Gesicht von einer unbeschreiblich männlichen Schönheit. Fast war ich versucht, die Hand zu heben und meine Fingerspitzen über seine Wangen fahren zu lassen. Ich wollte sichergehen, dass ein derartig perfekter Mensch existierte, für mich da war und mich auf meinem dunklen Weg begleitete.
Johannes schien meine Gedanken und Gefühle lesen zu können. Er legte den Arm um meine Schulter, drückte mich sanft und seine Stimme war ein tiefes beruhigendes Flüstern. „Ich bin so glücklich, dass ich hier mit dir zusammensein darf. Wir haben unsere Vergangenheit verloren und unsere Zukunft liegt irgendwo dort draußen verborgen. Aber wir haben uns. Und mehr werde ich nie brauchen.“
Ich zögerte mit meiner Antwort. Angst, Verzweiflung und grenzenlose Liebe zu Johannes kämpften in meinem Herzen. „Was immer auch geschehen wird“, sagte ich, „wir werden uns niemals trennen.“